War Darwin unfehlbar?
Die Evolutionstheorien geniessen so etwas wie eingebaute Vorfahrt.
Das erschwert einen offenen Austausch. Doch Kritik muss möglich sein.
von Siegfried Scherer
Die Evolutionsbiologie ist faszinierend und bietet eine schlüssige
Erklärung für experimentell gut erforschte mikroevolutive
Vorgänge wie Variation und Artbildung bis hin zur Gattungsbildung. Sie
hat wesentlich zum Verständnis des Lebendigen beigetragen: die
Fähigkeit zur Evolution im Sinne von Varia-bilität und Anpassung
erweist sich als Kennzeichen allen Lebens. Auch das erdgeschichtlich geordnete
Auftreten von Fossilien lässt sich gut im Rahmen von Evolution
interpretieren, doch Makroevolution als vergangener, niemals wiederholbarer
Vorgang ist nicht testbar, sondern ist nur indirekt durch Indizi-en
erschließbar.
Andererseits sind grundsätzliche Fragen der Evolutionstheorie bis heute
un-beantwortet. Ein Beispiel ist die trotz jahrzehntelanger Forschung
völlig unge-klärte Entstehung einer primitiven Urzelle, die nach
experimentellen Daten über weit mehr als 100 Proteine, Nukleinsäuren
plus Codierungssystem und Zellhülle verfügen musste. Für deren
Bildung ist ein molekularer Mechanis-mus nicht einmal in Ansätzen in
Sicht. Eine Grundvoraussetzung für Makro-evolution ist die Entstehung
hochkomplexer molekularer Maschinen der Zelle aus primitiven Vorstufen. Diese
ist durch die Evolutionsmechanismen Mutati-on, Selektion, Gendrift u.a. in
kleinen Schritten auf genetischer Basis bisher nicht erklärt. Vielleicht
werden diese Probleme gelöst? Doch wenn das nicht der Fall sein sollte?
Ist die Option überhaupt offen, dass der Fortschritt der Wissenschaft
die ungelösten Fragen bezüglich des Ursprungs und der Ent-wicklung
des Lebens vergrößern statt verkleinern könnte?
Kompetente Kritik benennt Schwachpunkte einer Theorie und ist damit eine
Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt. Wissenschaftliche
Kritik der Evolutionstheorie fördert deshalb die Evolutionsforschung.
Allerdings muss und kann naturwissenschaftliche Kritik von weltanschaulichen
Aspekten sorg-fältig getrennt werden, es wäre bedenklich, wenn
evolutionskritische Argu-mente als Gottesbeweise missverstanden würden.
Evolutionstheorie oder Evolutionismus?
Problematisch ist nicht die Evolutionstheorie als Deutungsmöglichkeit
von Daten, sondern ein daraus abgeleiteter Monopolanspruch für Weltdeutung.
So verkündet Daniel Dennett (Spiegel, 24.12.2005) den Tod Gottes als
Kon-sequenz aus Darwins Lehre, auch die Religionen seien das Produkt
evolutio-närer Algorithmen. Ulrich Kutschera meint, die Katholiken
könnten die na-turalistische Denkweise der modernen Evolutionstheorie
niemals akzeptieren, weil sie als Konsequenz ihre Glaubensbasis aufgeben
müssten. Sollte die Evolutionstheorie bei solch weit reichenden Konsequenzen
nicht immer wie-der und besonders kritisch auf naturwissenschaftlicher und
philosophischer Ebene überprüft werden? Doch das ist selten.
Beispielsweise wird die aus-schließlich naturwissenschaftliche
Würdigung und Kritik der Evolutionstheo-rie in Evolution
ein kritisches Lehrbuch (2006, Weyel-Verlag, Giessen) meist ignoriert,
obwohl sie 90% des Buches umfasst. Ein Hinweis auf das konservative
Bibelverständnis der Autoren genügt, um den Diskurs auf der Sachebene
erst gar nicht zu eröffnen. Es scheint, dass ernsthafte Kritik an der
Evolutionstheorie tiefes Unbehagen auslöst. Wird die Evolutionstheorie
aber vor fundamentaler Kritik geschützt, gerät sie am Ende in den
Status der Unfehlbarkeit, mutiert zum Evolutionismus und wird als Religionsersatz
missbraucht.
Kritische Anmerkungen zum amerikanischen Kreationismus
Der klassische Kreationismus aus Amerika sieht im Schöpfungsbericht
natur-wissenschaftlich direkt relevante Aussagen
(astronomisch-geologisch-biolog-isches Verständnis). Beispielsweise
wird ein junges Alter des Univer-sums, die Tatsache der
Schöpfung sowie die Bildung von fast allen geologischen Formationen
innerhalb eines einzigen Jahres durch die Sintflut für wissen-schaftlich
sehr gut begründet angesehen. Eine solche Einschätzung ist m.E.
nur durch Ausblendung unpassender astrophysikalischer und
geologisch-er Daten möglich, deren überzeugende Deutung im Rahmen
eines Welt-alters von nur 10 000 Jahren schwer fällt.
In den USA wollen extreme Strömungen die Evolutionsbiologie aus dem
Bio-logieunterricht verbannen, dazu kommt zuweilen eine wissenschaftsfeind-liche
Ablehnung der öffentlichen Finanzierung evolutionsbiologischer Forsch-ung,
und wenn Evolutionsbiologen dann auch noch Ignoranz oder
Wissen-schaftsfälschung unterstellt wird, ist das Ganze kaum noch
erträglich. Eines meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeitsgebiete ist
Taxonomie und Evolut-ion, ich kann verstehen, dass amerikanische Kollegen
in den USA gegen Ver-botsversuche und entsprechende politische Einflussnahme
Sturm laufen.
Der Kreationismus erhebt einen Absolutheitsanspruch auf ein bestimmtes
Verständnis des Schöpfungsberichtes. Doch unter Christen gibt es
nun ein-mal verschiedene Zugänge zu den biblischen Texten, auch in Bezug
auf die Evolutionstheorie, und Christ wird man nicht durch den Glauben an
eine Sechs-Tage-Schöpfung. Die meisten Christen nehmen an, dass der
Schöpfer durch den Evolutionsprozess geschaffen hat, wobei dieser Glaube
unter-schiedlich gefüllt wird. Theologische Absolutheitsansprüche
führen nicht weiter, nur der wertschätzende, sachlich-theologische
Diskurs ist hilfreich.
Schöpfungslehren
Früher stand ich dem Kreationismus nahe, heute vertrete ich eine
neutesta-mentliche Schöpfungslehre. Es geht nicht um ein
naturwissenschaftliches Verständnis der Genesis, sondern um die Heilslehre
des Neuen Testamen-tes: Christus und das Paradies, Sünde und Erlösung,
die Ursache für Sterben und Leid, die Hoffnung auf eine neue Schöpfung
(Römer 5; Offenbarung 21,1-4). Diese konservative Theologie steht im
spannungsvollen Widerspruch zur Evolutionstheorie. Können wissenschaftliche
Daten alternativ im Sinne von Schöpfungslehren gedeutet werden? Dabei
wird Offenbarung voraus-gesetzt, deshalb kann eine Schöpfungslehre im
Gesamten niemals eine wissenschaftliche Theorie sein. Schöpfungslehren
gehören daher in den Religions-, und nicht in den naturkundlichen
Unterricht. Stimmen wissen-schaftliche Daten und Schöpfungslehre
überein, ist das kein Beweis für die deren Richtigkeit.
Befinden sie sich im Widerspruch, muss dies aufgrund wissenschaftlicher
Redlichkeit offen gelegt werden, die Ausblendung wissen-schaftlicher Befunde
wäre ideologisch. Während sich viele biologische Daten im Denkrahmen
einer Schöpfungslehre befriedigend deuten lassen, gibt es hinsichtlich
der Erdgeschichte allerdings sehr viel mehr Fragen als Antworten.
Jeder kann irren
Sowohl Evolutionstheorie als auch Schöpfungsanschauung sind ideologisch
missbraucht worden. Anzeichen für Ideologisierung sind Ausblendung
wis-senschaftlicher Daten, Verhinderung von Kritik, Absolutheitsansprüche,
Verbotsversuche jeder Art, Polemik oder Kritik an der Person statt an der
Sache. Da hilft nur die Rückkehr zu einem zwar kontroversen, aber
sach-lichen und informierten Diskurs.
Evolutionsbiologie kann man als Christ, als Moslem, als Agnostiker oder als
Atheist betreiben, auf der rein empirischen Ebene wird man zu ähnlichen
Ergebnissen kommen. Das ist eine tragfähige Gesprächsbasis. Allerdings
kann man naturwissenschaftliche Daten hinsichtlich der Entstehung und Geschichte
des Lebens, abhängig von weltanschaulichen Grundüberzeug-ungen,
unterschiedlich deuten. Es wäre viel gewonnen, wenn das nicht als Bedrohung,
sondern als Bereicherung aufgefasst würde.
Bei der Beantwortung von fundamentalen Herkunfts- und Sinnfragen wäre
auch eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Schließlich war keiner
von uns dabei, als das Leben ins Dasein kam, und jeder könnte irren.
Deshalb ist es gut, dass Weltdeutungen keine eingebaute Vorfahrt haben. |