Siegfried Scherer
24.3.2008
Seit ich meine eigene Internetpräsenz(2) vor 2
Jahren
eröffnete und einige Interviews gab, erreichten mich eine ganze Reihe von Fragen zu
meiner persönlichen Entwicklung und meinen derzeitigen
Ansichten,
die teilweise auch veröffentlicht wurden. Dr. Henrik Ullrich,
mein
Nachfolger im Amt des Vorsitzenden der Studiengemeinschaft Wort
und Wissen, ermutigte mich deshalb, auf einige diese Fragen auch
öffentlich zu antworten. Aus zeitlichen und anderen
Gründen ist dies
nicht erschöpfend möglich und gibt zudem meinen
augenblicklichen
Entwicklungsstand wieder. Für weitere Informationen verweise
ich
einerseits auf unser evolutionskritisches Lehrbuch(3), andererseits auf
meine home page und die über Wort und Wissen(4)
zugänglichen Texte.
Evolutionsbiologie ist eine wissenschaftliche Disziplin
Manche Leser haben sich darüber gewundert, dass ich die
Evolutionsbiologie immer wieder lobend würdige und mit
Evolutionsbiologen so freundlich verkehre. Nun ist die
Evolutionsbiologie eine
spannende wissenschaftliche Disziplin, in der ich gelegentlich selber
forsche und publiziere. Als Wissenschaft finde ich dieses
Forschungsfeld
faszinierend und ertragreich, ich werde mich weiter damit befassen
und mich je nach Sachverhalt konstruktiv und ggf. kritisch dazu
äußern. Die Evolutionsbiologie ist gut etabliert;
das ist
einerseits durch
zehntausende von Biologen und Paläontologen bedingt, die in
diesem Sinne geforscht haben und täglich forschen. Diese Kollegen
leisten in aller Regel gute wissenschaftliche Arbeit, was nicht
heißt, dass
ich allen vorgetragenen Deutungen der Daten folge. Wo die
Evolutionsbiologie allerdings weltanschaulich von einem alles
umfassenden,
sich teilweise totalitär gebenden Naturalismus vereinnahmt
wird, ist
die empirische Wissenschaft am Ende.
Kritische Fragen sind möglich
Die feste Etablierung von Evolution als wissenschaftlicher Leitidee in
unserer Zeit bedeutet keineswegs, dass keine grundsätzlichen
Anfragen mehr gestellt werden können oder dürfen, auch
wenn diese in
einigen Teilen der scientific community nicht sehr willkommen sind.
Allerdings ist aufgrund begrenzter Möglichkeiten und
Fachkenntnis
nur an einigen exemplarischen Punkten eine sachlich
überzeugende,
tiefgehende Kritik möglich, die den Absolutheitsanspruch
atheistischer Evolutionsanschauungen punktuell in Frage stellt. Niemand
wird ernsthaft erwarten, dass eine winzige Handvoll meist
ehrenamtlich tätiger Kritiker(5) eine gut etablierte
Alternative oder
auch nur
eine durchgehende Kritik fundiert formulieren kann. Zwar habe ich
mir vor 25 Jahren diesbezüglich noch einige Illusionen
gemacht, doch
gehört es inzwischen zu meinen Erfahrungen als Wissenschaftler
und
als Christ, dass man sich nicht überschätzen sollte.
Angesichts der Verteilung der Kräfte finde ich es aber
immerhin er
staunlich, in welchem Maß biologische Einwände gegen
wissenschaftliche Evolutionstheorien und davon abgeleitete Spekulationen
formuliert werden können. Gerade im Bereich der Entstehung des
Lebens sowie der Molekularbiologie und Genetik scheint es mir je
länger je mehr, dass sich fundierte kritische Anfragen an eine
natürliche Erklärung nicht nur komplexer, sondern
dazu auch noch
genial
erscheinender biologischer Systeme formulieren lassen. Die Demonstration von signifikanten naturwissenschaftlichen
Erklärungslücken evolutionstheoretischer Modelle bedeutet indes aber
weder,
dass Evolution widerlegt, noch, dass dadurch die Wahrheit der
Heiligen Schrift belegt werden kann.(6)
„Evolution – ein kritisches Lehrbuch“
Aufgrund einer Äußerung von Herrn Dr. Hemminger(7)
wurde gefragt,
ob ich denn noch hinter unserem Buch „Evolution –
ein kritisches
Lehrbuch“ stehen könne. Als Wissenschaftler und als
Christ bin ich
mir der Vorläufigkeit und Begrenztheit wissenschaftlicher und
theologischer Vernunftschlüsse je länger je mehr
bewusst.
Das veranlasst
mich generell zur Vorsicht. So sind uns auch bei der Formulierung
der Texte des Werkes „Evolution – ein kritisches
Lehrbuch“ Einseitigkeiten und Irrtümer unterlaufen. Wir lernen dazu –
schneller, als die
Auflagen einander folgen können. Das kann man gut an der
Entwicklung der Texte in der Folge der Auflagen ablesen. Ich
weiß
also um
manches, was in unserem Buch der Änderung bedarf, sehe aber
keine Veranlassung, das Lehrbuch insgesamt zurückzuziehen.
Dessen
Hauptanliegen, nämlich die biologische Kritik von
Evolutionstheorien
und des Gesamtwelterklärungsanspruchs
„Evolution“ halte ich nach
wie vor für berechtigt und für gut
begründet.
Gerade weil die evolutionstheoretische Welterklärung derart
gut etabliert ist und so nachhaltig von fast allen Wissenschaftlern und
Medien uni sono vertreten wird, und weil diese Theorie in ihrer
vorherrschenden naturalistischen Form im klaren Widerspruch zum
christlichen Glauben steht (man denke etwa an Dawkins
„Gotteswahn“), ist eine zwar apologetisch
motivierte, aber
sachlich-naturwissenschaftliche und kritische Analyse für
gläubige
Wissenschaftler m.E. eine
lohnende und faszinierende Aufgabe. In aller Vorläufigkeit und
Begrenztheit gehört diese Aufgabe zu dem Weg, den zu gehen ich
noch
immer berufen bin. Auch die nächste Auflage von
„Evolution – ein
kritisches Lehrbuch,“ die ich - so Gott will und ich lebe -
wieder mit
Reinhard Junker und den anderen Autoren zusammen erarbeiten
möchte, wird zahlreiche Änderungen und Korrekturen
enthalten.
Zum Alter der Welt
Noch ein Wort zu den Unterschieden im Vergleich zu meinen
früheren Einstellungen. Insbesondere in der Astrophysik und der
Geophysik sehe ich zahlreiche Befunde, die m.E. deutlich für ein
hohes Alter
des Kosmos und der Erde sprechen. Ich erkenne derzeit keinen Weg,
ein junges Weltalter naturwissenschaftlich schlüssig zu
begründen.
Zudem schreckt mich persönlich der Gedanke nicht, dass Gott
den
Kosmos vor langer Zeit durch einen „Urknall“ ins
Dasein gerufen haben könnte(8). Der Schöpfer (und, wie ich glaube, auch
der Schöpfungsbericht) steht jenseits physikalisch messbarer Zeit und
natur
wissenschaftlicher Analyse. Dazu lassen sich viele Befunde der
Geologie und Paläontologie im Sinne einer langen Geschichte des
Lebens
deuten (v.a. die relative Abfolge der Fossilien: Stratigraphie). Auch
wenn andere Merkmale des Fossilberichtes vielfach Anlass zu
kritischen Anfragen an die paläontologische Evolutionstheorien
geben
(v.a. „missing/connecting link“ - Problematik),
liegt eine wissenschaftlich belastungsfähige, alternative
Deutung der Abfolge
der
Fossilfunde im Sinne einer jungen Erde m.E. nicht vor. Ob sich daran
künftig etwas ändert, wird weitere Forschung zeigen.
Dabei kann es
nur nützlich und konstruktiv sein, wenn diese Forschung auch
von
Wissenschaftlern betrieben wird, die akzeptierten Anschauungen
kritisch gegenüber stehen.
Die große Mehrheit der Mitglieder der Studiengemeinschaft
Wort und
Wissen schätzt die Möglichkeit einer
naturwissenschaftlichen Begründung eines jungen Welt- und
Erdalters allerdings deutlich
optimistischer ein als ich, wobei die entsprechenden Argumente in den
Veröffentlichungen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen
nie
dergelegt sind.
Meinungsvielfalt bei Wort und Wissen
Einige Beobachter haben also richtig wahrgenommen, dass sich
meine Einstellung zu manchen Fragen im Themenbereich Schöpfung
–
Evolution verändert und fragen nun, wie das in die
Studiengemeinschaft Wort und Wissen passt. Seit meinem vor allem gesundheitlich
bedingten Ausscheiden als Vorsitzender bin ich ehrenamtlich weiter
im Leitungskreis der Studiengemeinschaft Wort und Wissen
tätig.
Diese ist ein Zusammenschluss von Einzelpersönlichkeiten, die
von
der christlichen Freiheit des Denkens und des Glaubens geprägt
und
nicht auf ein spezielles uniformes theologisches und
wissenschaftliches Dogma verpflichtet sind. Wir sind also durchaus nicht in allen
Dingen einer Meinung. Was uns aber zentral verbindet, ist der
Glaube an den Gott der Bibel als Schöpfer und Vollender der
Welt,
und an
Christus, unseren Erlöser. Er ist nach dem Zeugnis der
Heiligen
Schrift der Ursprung und das Ziel der Heilsgeschichte Gottes mit
dem Menschen, in welche Welt- und Naturgeschichte eingebettet
sind. Mit vielen anderen Naturwissenschaftlern glauben wir, dass die
Heilige Schrift von Gott offenbart ist. Galileo Galilei hat dies in
einem
Brief an seinen Schüler Benedetto Castelli im Jahr 1613 wie
folgt in
Worte gefasst:
"Die Heilige Schrift kann weder lügen noch irren, sondern ihre
Aussagen sind von absoluter und unverbrüchlicher Wahrheit.
Obwohl
die
Schrift niemals irren kann, können ihre Ausleger
nichtsdestoweniger
manchmal auf die verschiedenste Weise irren."
Was die Unterschiede im naturwissenschaftlichen und theologischen
Verständnis betrifft, muss jedes Mitglied von Wort und Wissen
seinen
notwendigerweise persönlich gefärbten Standpunkt im
je eigenen
Umfeld durch Wort und Schrift vertreten und verantworten. Deshalb
habe ich eine eigene Internetpräsenz erstellt.
Kritische Fragen sind notwendig
Wissenschaftliche Forschung ist grundsätzlich frei. Auch
wenn
das
nicht jedermann gefällt, kann und muss sie deshalb auch in den
Richtungen Fragen stellen und nach Antworten suchen dürfen,
welche außerhalb des Blickfeldes etablierter Modellbildungen
und
soziokultureller Leitideen liegen. Wenn das Denken außerhalb
anerkannter Paradigmen generell als demokratiefeindlich oder
unwissenschaftlich diffamiert wird, blendet man wichtige Einsichten aus
der
wechselvollen Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen aus. Zur
Illustration ein humoriges Zitat von Kurt Marti (geb. 1921, Schweizer
Theologe und Schriftsteller):
„Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo
kämen wir hin und keiner
ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir
gingen?“
Nun ist die Studiengemeinschaft Wort und Wissen dem Glauben an
den Gott der Bibel und dem Anspruch seriöser
wissenschaftlicher
Forschung verpflichtet. Deshalb geht man dort im wissenschaftlichen
Denken unter anderem auch dahin, wo andere nicht hingehen.
Allerdings müssen die dabei auftauchenden Probleme und
Widersprüche
unmissverständlich und ehrlich beim Namen genannt werden.
Für
beides mache ich mich entschieden stark, und beides ist heute
Konsens bei Wort und Wissen. Das ist zuweilen durchaus unbequem und
wir stellen uns damit in deutlichen Gegensatz zu dem Stil, der in
zahlreichen kreationistischen Organisationen gepflegt wird. In der
Studiengemeinschaft Wort und Wissen, die ihre Wurzeln zweifellos
im amerikanischen Kreationismus hat, haben wir in der
Vergangen
heit allerdings Zeiten gesehen, wo dieser Gegensatz nicht immer
er
kennbar war. Nicht nur aus diesem Grund(9) hat IDEA ganz Recht,
wenn das Blatt berichtet(10), ich habe mich „vom
Kreationismus
etwas
distanziert“, was in dieser Hinsicht auch für die
Studiengemeinschaft
„Wort und Wissen“ gilt.
Theistische Evolution
Andere Leser haben sich gefragt, wie denn nun mein Verhältnis
zu
den Christen aus Kirchen und Freikirchen sei, nach deren
Überzeugung Evolution als Erklärung des Lebens außerhalb
jeden vernünftigen Zweifels steht. Obwohl evolutionsbiologische Forschung seit
Darwin bedeutendes zum Verständnis der Lebenswirklichkeit
beige
tragen hat, teile ich diese Überzeugung nicht, aber mein
Verhältnis
zu diesen Christen ist gut. Ich finde es je länger je
wichtiger, für den
freundschaftlichen, konstruktiven Dialog nicht nur offen zu sein,
sondern diesen aktiv zu suchen. Zu lange und in zu vielen Fragen haben
sich Christen gegenseitig bekämpft. Ich möchte die
theologische Position, die Motivation und die wissenschaftlichen Einsichten meiner
Gesprächspartner noch besser als bisher verstehen lernen.
Dabei
übe ich mich auch in dem Gedanken, dass ich in meinen
bisherigen
wissenschaftlichen und theologischen
„Leithypothesen“ irren könnte.
Anders Denkenden und anders Glaubenden möchte ich dabei nicht
nur respektvoll, sondern in der Liebe Jesu begegnen. Diese Haltung
teile ich nicht nur mit Herrn Junker, sondern mit dem gesamten
Leitungskreis der Studiengemeinschaft Wort und Wissen.
Antworten auf alle Fragen?
Für mich persönlich ergeben sich aufgrund der von mir
so wahrge
nommenen Faktenlage erhebliche Spannungen zwischen naturwissenschaftlichen Daten einerseits und traditionellen
Glaubensüberzeugungen andererseits. Diese beziehen sich zwar auch auf das
Verständnis der Schöpfungstexte der Bibel, insbesondere
aber geht es
um die Theodizee-Frage, um die Ursache und die Rolle des Todes in
der heutigen Ökologie, in der Evolution und in der Heiligen
Schrift.
Diese Fragen stehen mir deutlich vor Augen, ich bewege sie intensiv
und bin dabei im Gespräch mit Freunden, Vertretern
verschiedener
theologischer und philosophischer Positionen und mit Gott. Einfache
Antworten haben sich mir bisher entzogen.
Der wohl am tiefsten greifende Wandel in meiner persönlichen
Entwicklung besteht vielleicht darin, dass ich heute nicht mehr
versuche, auf fast alle Fragen eine eingängige theologische,
wissenschaftliche oder wenigstens wissenschaftlich klingende Antwort zu haben.
Auch die Überzeugung, solche Antworten ließen sich
grundsätzlich
finden, wenn man nur intensiv genug betete oder forschte, ist mir
in
zwischen abhanden gekommen. Es könnte allerdings sein, dass
sich
dieser Verlust am Ende als Gewinn erweist.
Eine Überzeugung steht mir als Biologe und als Christ in allen
Über
legungen und Veränderung aber nach wie vor
eindrücklich vor Augen. Der Apostel Paulus hat sie in seinem
Brief an die christliche
Gemeinde in Rom (Kapitel 1, 19+20) prägnant formuliert:
„Das von Gott Erkennbare ist [unter den Menschen] offenbar,
denn
Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares [Wesen], sowohl
seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird von
Erschaffung
der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut.“
Anmerkungen
(1) Frei nach 1. Kor. 13,9ff
(2) http://www.siegfriedscherer.de
(3) Junker R, Scherer S (2006) Evolution –ein kritisches
Lehrbuch.
Weyel, Gießen.
(4) http://www.wort-und-wissen.de
(5) Brose N, Fritzsche T (2008) Wo sind die Kreationisten? In den
Be
richten seiner Gegner wird die Zahl der
„Fundamentalisten“ in
Deutschland auf wundersame Weise vermehrt. Rheinischer Merkur
Nr. 6, 2008, Seite 24.
(6) vgl. hierzu mein Text „Ist Intelligent Design eine
naturwissen
schaftliche Alternative zur Evolutionstheorie?“ auf
http://www.sieg
friedscherer.de, den ich zeitgleich mit diesem Text erstellt habe.
(7) Dr. H.J. Hemminger hat in EZW Texte 195 (2007) die Frage offen
gelassen, warum ich unser Lehrbuch angesichts meiner home page
nicht zurückziehe.
(8) Ich kann es nachvollziehen, wenn Astrophysiker in einem
hypo
thetischen Urknall sowie in der Struktur des Universums (zu letzerem
Hägele P (1999) Ist der Kosmos für den Menschen
gemacht?
http://www.iguw.de/text.php?text=31&typ=pdf) hinsichtlich seines
fein ausbalancierten physikalischen Grundaufbaus die
Schöpfungs
7
kraft Gottes sehen. Es ist für mich auch
verständlich, dass sich Mate
rialisten anfangs gegen einen Urknall wandten, zeigt dieser doch,
dass das Universum einen Anfang hat (vgl. Gen. 1:1). Zudem sprengt
dieser Anfang alle menschliche Vorstellungskraft.
(9) Weiteres dazu in meinem Text „Wissenschaft und
Weltanschau
ung“, http://www.siegfriedscherer.de/wissen.html
(10) IDEA in www.idea.de vom 24.2.2008
ext normal
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